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        Die Redaktion weist darauf hin, dass der Inhalt der Leserbriefe die Ansicht der Einsender wiedergibt, die mit der Meinung der Redaktion
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                Zur Situation der Welt                        „Gewisse Ansprüche etwas herunterschrauben“

        Viele Menschen sind der Ansicht, dass heute nicht mehr   Hallo, heute Nachmittag  aus dem Städtchen.        langt, auch mal selbst in
        alles zum Besten steht. Wer die Zeitung aufschlägt oder   war ich mal wieder in Seli-  Besondere Aufmerksamkeit  den Zeitungsladen zu gehen
        das Fernsehen einschaltet, begegnet laufend neuen Mel-  genstadt und konnte es mir  widmete ich dem Editorial  und die Zeitung zu holen,
        dungen, die Zweifel an der Menschheit aufkommen lassen.   nicht verkneifen, die aktu-  und wurde nachdenklich: Ist  oder mal mit dem Zug (so-
        Es stellt sich die Frage, ob dies schon immer so war oder   elle Ausgabe des „Der Seli-  es typisch für uns Deut-  fern er denn fährt… ) zu




        ob wir als Menschheit aus der Vergangenheit nichts gelernt   genstädter“ mitzunehmen.    sche, dass wir alles sofort,  fahren oder mal eines vom
        haben. Oft hört man, dass früher alles besser gewesen sei.   Eigentlich war mein Ziel die  makellos und möglichst gra-  Omas Hausmittelchen zu
        Ein interessantes Beispiel dafür findet sich in einem Zei-  Schiffsanlegestelle  am  tis haben möchten, ohne  probieren, ohne einen Auf-
        tungsvers des „Seligenstädter Anzeigers“ vom 11. Januar   Mainufer, denn da war ich  selbst etwas dafür zu tun  stand in der Arztpraxis hin-
        1882. Unter der Überschrift „Tolle Geschichten“, verfasst   mit einer Gruppe von Cari-  und immer auf den oder die  zulegen?
        von einem unbekannten Autor, werden einige Zeilen abge-  tas-Tagesstätte-Klienten  Anderen zu zeigen, wenn  Ich frage mich schon öfter,
        druckt, die diese Skepsis gegenüber dem Zustand der Welt
        eindrucksvoll widerspiegeln:                          aus Dieburg zu einer Rund-  das nicht klappt?         wohin das Immer scnneller,
        Die Welt ist jetzt ein Irrenhaus,                     fahrt auf dem Main verabre-  Ich muss freilich feststellen,  billiger, bequemer führen
        daran ist wohl gar kein Zweifeln.                     det! Leider saß ich aber im  dass das leider oft so ist! Es  soll?  Ressourcen  sind
        Die Wahrheit wirft man zum Tempel hinaus,             Bahnhof Babenhausen fest  wird gejammert - meist auf   knapp bei Fachkräften,
        an ihrer Stell' thronet der Teufel.                   wegen Zugausfällen bei der  hohem Niveau; da wird die  Dienstleistungen oder Ma-
        Die Frühlingssonne wärmt nicht mehr,                  Odenwaldbahn. Diesesmal  tägliche     Morgenzeitung   terial.
        im Winter will es nicht mehr frieren.                 hieß es bei der Durchsage   nicht rechtzeitig geliefert  Es wäre manches einfacher,
        Zweibeinig gehen die Esel umher,                      am Bahnsteig…“Zugausfall  oder eine Autoreparatur  wenn gewisse Ansprüche
        und Menschen kriechen auf Vieren.                     um 14.01 h nach Hauau  dauert länger oder man be-     mal   etwas   herunterge-
        Tollhäuser reden von Geist und Vernunft,              wegen akutem Personal-     kommt keinen schnellen  schraubt würden…
        und Ehrlichkeit predigen Diebe.                       mangel“.                   Arzttermiin  oder,  oder,  Übrigens: Meine Gruppe
        Von Treue spricht die Schelmenzunft,                  Der Hinweis auf den Schie-  oder…                     nahm ich nach einer Stunde
        der Wucherer von christlicher Liebe.                  nenersatzverkehr konnte in  Denkt dieser unzufriedene  dann doch noch in Empfang
        Die Lüge richtet die Wahrheit zu Grund,               meinem Fall die Situation  Zeitgenosse eigentlich mal  zum Kaffeetrinken im nahe-
        die Tapferkeit fürchtet die Feigen.                   auch nicht retten: Ich  daran, dass hinter all diesen  gelegenen Klostercafe.
        Taubstumme lehrt man reden,                           schaffte es einfach nicht  Dienstleistungen Menschen  Freundliche Grüße
        und Redner bringt man zum Schweigen.                  rechtzeitig zum Schiffsanle-  stehen, die hart arbeiten:  Rita Schlett
        Seiltänzer werden Künstler genannt,                   ger nach Seligenstadt… So  die Zeitungszulieferin, die  Schaafheim
        die Ehre und Kränze verdienen.                        konnte ich der „Johann-    mitten in der Nacht auf-
        Maschinen haben jetzt Menschenverstand,               Wolfgang-von-Goethe“ der  steht, der Kfz-Mechatroni-
        und Menschen sind jetzt Maschinen.                    Primus-Linie  leider nur noch  ker, der die Ersatzteile nicht   „Finger in
        So sind die Sachen auf Erden bestellt,
        daran ist wohl gar kein Zweifel.                      nachwinken   und   einige  rechtzeitig bekommt und    Wunde gelegt“
        Der Teufel holt eigentlich nicht die Welt,            Fotos knipsen… Das war  die Medizinische Fachange-
        die Welt, die holt sich den Teufel.                   natürlich schade, aber eben  stellte, die seit Monaten am   Das Editorial ist wieder
        Diese Zeilen verdeutlichen, dass die Klage über den Zu-  nicht mehr zu ändern. Also  Limit arbeitet, weil Patienten   super.
        stand der Welt keine Erscheinung unserer Zeit ist, sondern   setzte ich mich auf die am  immer höhere Ansprüche   Sie legen den Finger so rich-
        schon früher Ausdruck fand. Sie zeigen eindrucksvoll, dass   Anleger stehende „Bambel-  stellen und das in immer   tig in die Wunde.
        viele der heutigen Sorgen und Zweifel bereits vor über hun-  bank“ und las den „Der Se-  kürzerer Zeit.     Beste Grüße aus Froschhau-
        dert Jahren ähnlich empfunden und formuliert wurden.   ligenstaedter“, wie immer  Was ist bloß los mit uns?    sen
                                    Georg Giwitz, Seligenstadt   mit interessanten Themen  Ist es wirklich zu viel ver-  Axel Hell, Seligenstadt
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