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Leser forum 33
Die Redaktion weist darauf hin, dass der Inhalt der Leserbriefe die Ansicht der Einsender wiedergibt, die mit der Meinung der Redaktion
oder des Verlages nicht unbedingt übereinstimmt. Diffamierende, beleidigende und anonyme Zuschriften werden abgelehnt.
Zur Situation der Welt „Gewisse Ansprüche etwas herunterschrauben“
Viele Menschen sind der Ansicht, dass heute nicht mehr Hallo, heute Nachmittag aus dem Städtchen. langt, auch mal selbst in
alles zum Besten steht. Wer die Zeitung aufschlägt oder war ich mal wieder in Seli- Besondere Aufmerksamkeit den Zeitungsladen zu gehen
das Fernsehen einschaltet, begegnet laufend neuen Mel- genstadt und konnte es mir widmete ich dem Editorial und die Zeitung zu holen,
dungen, die Zweifel an der Menschheit aufkommen lassen. nicht verkneifen, die aktu- und wurde nachdenklich: Ist oder mal mit dem Zug (so-
Es stellt sich die Frage, ob dies schon immer so war oder elle Ausgabe des „Der Seli- es typisch für uns Deut- fern er denn fährt… ) zu
ob wir als Menschheit aus der Vergangenheit nichts gelernt genstädter“ mitzunehmen. sche, dass wir alles sofort, fahren oder mal eines vom
haben. Oft hört man, dass früher alles besser gewesen sei. Eigentlich war mein Ziel die makellos und möglichst gra- Omas Hausmittelchen zu
Ein interessantes Beispiel dafür findet sich in einem Zei- Schiffsanlegestelle am tis haben möchten, ohne probieren, ohne einen Auf-
tungsvers des „Seligenstädter Anzeigers“ vom 11. Januar Mainufer, denn da war ich selbst etwas dafür zu tun stand in der Arztpraxis hin-
1882. Unter der Überschrift „Tolle Geschichten“, verfasst mit einer Gruppe von Cari- und immer auf den oder die zulegen?
von einem unbekannten Autor, werden einige Zeilen abge- tas-Tagesstätte-Klienten Anderen zu zeigen, wenn Ich frage mich schon öfter,
druckt, die diese Skepsis gegenüber dem Zustand der Welt
eindrucksvoll widerspiegeln: aus Dieburg zu einer Rund- das nicht klappt? wohin das Immer scnneller,
Die Welt ist jetzt ein Irrenhaus, fahrt auf dem Main verabre- Ich muss freilich feststellen, billiger, bequemer führen
daran ist wohl gar kein Zweifeln. det! Leider saß ich aber im dass das leider oft so ist! Es soll? Ressourcen sind
Die Wahrheit wirft man zum Tempel hinaus, Bahnhof Babenhausen fest wird gejammert - meist auf knapp bei Fachkräften,
an ihrer Stell' thronet der Teufel. wegen Zugausfällen bei der hohem Niveau; da wird die Dienstleistungen oder Ma-
Die Frühlingssonne wärmt nicht mehr, Odenwaldbahn. Diesesmal tägliche Morgenzeitung terial.
im Winter will es nicht mehr frieren. hieß es bei der Durchsage nicht rechtzeitig geliefert Es wäre manches einfacher,
Zweibeinig gehen die Esel umher, am Bahnsteig…“Zugausfall oder eine Autoreparatur wenn gewisse Ansprüche
und Menschen kriechen auf Vieren. um 14.01 h nach Hauau dauert länger oder man be- mal etwas herunterge-
Tollhäuser reden von Geist und Vernunft, wegen akutem Personal- kommt keinen schnellen schraubt würden…
und Ehrlichkeit predigen Diebe. mangel“. Arzttermiin oder, oder, Übrigens: Meine Gruppe
Von Treue spricht die Schelmenzunft, Der Hinweis auf den Schie- oder… nahm ich nach einer Stunde
der Wucherer von christlicher Liebe. nenersatzverkehr konnte in Denkt dieser unzufriedene dann doch noch in Empfang
Die Lüge richtet die Wahrheit zu Grund, meinem Fall die Situation Zeitgenosse eigentlich mal zum Kaffeetrinken im nahe-
die Tapferkeit fürchtet die Feigen. auch nicht retten: Ich daran, dass hinter all diesen gelegenen Klostercafe.
Taubstumme lehrt man reden, schaffte es einfach nicht Dienstleistungen Menschen Freundliche Grüße
und Redner bringt man zum Schweigen. rechtzeitig zum Schiffsanle- stehen, die hart arbeiten: Rita Schlett
Seiltänzer werden Künstler genannt, ger nach Seligenstadt… So die Zeitungszulieferin, die Schaafheim
die Ehre und Kränze verdienen. konnte ich der „Johann- mitten in der Nacht auf-
Maschinen haben jetzt Menschenverstand, Wolfgang-von-Goethe“ der steht, der Kfz-Mechatroni-
und Menschen sind jetzt Maschinen. Primus-Linie leider nur noch ker, der die Ersatzteile nicht „Finger in
So sind die Sachen auf Erden bestellt,
daran ist wohl gar kein Zweifel. nachwinken und einige rechtzeitig bekommt und Wunde gelegt“
Der Teufel holt eigentlich nicht die Welt, Fotos knipsen… Das war die Medizinische Fachange-
die Welt, die holt sich den Teufel. natürlich schade, aber eben stellte, die seit Monaten am Das Editorial ist wieder
Diese Zeilen verdeutlichen, dass die Klage über den Zu- nicht mehr zu ändern. Also Limit arbeitet, weil Patienten super.
stand der Welt keine Erscheinung unserer Zeit ist, sondern setzte ich mich auf die am immer höhere Ansprüche Sie legen den Finger so rich-
schon früher Ausdruck fand. Sie zeigen eindrucksvoll, dass Anleger stehende „Bambel- stellen und das in immer tig in die Wunde.
viele der heutigen Sorgen und Zweifel bereits vor über hun- bank“ und las den „Der Se- kürzerer Zeit. Beste Grüße aus Froschhau-
dert Jahren ähnlich empfunden und formuliert wurden. ligenstaedter“, wie immer Was ist bloß los mit uns? sen
Georg Giwitz, Seligenstadt mit interessanten Themen Ist es wirklich zu viel ver- Axel Hell, Seligenstadt

